Verstand und Vernunft

Verstand und Vernunft
   werden im Sprachgebrauch der klassischen Theologie nicht unterschieden. Anders bei I. Kant († 1804), nach dem sich die Vernunft auf das Bewußtsein u. dessen Grundlagen bezieht, während der Verstand als ”Vermögen der Begriffe“ die Anwendung der Vernunft auf den Bereich der Erscheinungen (sinnlichen Wahrnehmungen) darstellt. In der Theologie bezeichnen Verstand u. Vernunft das durch Transzendenz (Geist) gekennzeichnete geistige Erkenntnisvermögen des Menschen u. damit seine unausweichliche Verwiesenheit auf Gott, die auch dann noch existiert, wenn ein Mensch sie leugnet. Dieses eine Erkenntnisvermögen desMenschen kommt bewußtseinsmäßig zu sich selber u. damit zu seiner Transzendenz, indem es sich (notwendig) dem sinnlich Anschaulichen, der ”Vorstellung“, dem ”Bild“ u. damit der Konkretheit menschlicher Erfahrung u. Erkenntnis zuwendet, wie sie in der Gesellschaft u. ihrem kulturellen Gedächtnis gegeben ist. Dieses eine Vermögen ist begrifflich u. schlußfolgernd (”diskursiv“) u. zugleich ”intuitiv“, weil es nicht nur hingewendet zum sinnlich Anschaulichen denkt, sondern – indem es seiner eigenen Transzendenz inne wird – zu höchsten ”metaphysischen“ Einsichten gelangt, die ursprünglich u. unableitbar sind. Mit dem Wesen des Menschen als Person ist es gegeben, daß der Grundvollzug seines Verstandes wesentlich auch auf den Grundvollzug seines Willens bezogen ist. Beide Grundvollzüge zusammen machen den einen Selbstvollzug des menschlichen Geistes aus (so wie in analogerWeise zwei u. nur zwei ”Hervorgänge “ u. Möglichkeiten der Selbstmitteilung in der göttlichen Trinität erkannt werden). In der Sicht der kath. Theologie nimmt der Verstand, das vernünftige Denken des Menschen, nicht ”nachträglich“ Stellung zu einer ohne menschlichen Verstand ergangenen Offenbarung Gottes. Vielmehr ist dieses menschliche Erkenntnisvermögen in der ganzen Breite seiner Wirklichkeit u. in der ganzen Vielfalt seiner Aspekte von der Offenbarung Gottes angerufen. Angerufen wird das Erkenntnisvermögen in seiner Transzendentalität durch die Gnade, in seiner Verwiesenheit auf die Welt u. das sinnlich Anschauliche durch die Erfahrbarkeit Gottes in der Geschichte u. durch das Wort der Verkündigung (das als menschliches Wort erscheint), in seiner Gesellschaftlichkeit durch die kirchlichkommunikative Gestaltwerdung der Offenbarung, in seiner geschichtlichen Entwicklung durch die Geschichte des Glaubensbewußtseins der Kirche, in seiner ”diskursiven“ Rationalität durch den Wissenschaftscharakter der die Offenbarung reflektierenden Theologie. Von da her versteht sich die kath. Überzeugung, daß Glaube u. Vernunft sich nicht widersprechen, sondern gegenseitig positiv beeinflussen.

Neues Theologisches Wörterbuch. . 2012.

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